27.7.06

Ein verhagelter Nachmittag

Es begann um 15.50 Uhr und dauerte bis 16.15 Uhr. Danach waren Tausende Windschutzscheiben kaputt, Dutzende Menschen krankenhausreif, 43.000 Haushalte ohne Strom, und die U-Bahn stand still: Eine saubere Hagelattacke haben wir gestern erlebt.
Zum Teil waren die Dinger so groß wie Wimbledon-Tennisbälle. Ich habe in unserer Straße 26 Autos gezählt, 19 davon mit kaputter Scheibe, bei uns im Haus hat es eine Fensterscheibe zerdeppert. Einige Leute, die das gemacht haben, was man bei einer Hagelwarnung normalerweise macht - das Auto in die Garage fahren - hatten Pech: In Recoleta ist unter dem Hagel eine Parkhalle eingestürzt und hat zwanzig Wagen begraben.
Die Hände reiben sich die Autowerkstätten. Die Autos stehen blöckeweise Schlange, angeblich haben sich die Preise für eine neue Windschutzscheibe im Nu verdoppelt.
Und so war's.

24.7.06

Die Malvinas...

... sind argentinisch. Findet Argentinien. Steht in der Welt.

20.7.06

Glückwunsch, allerseits!

Dem Pizzabäcker gehört der 10. Januar; dem Mechaniker der 24. Februar; der Eisverkäufer hat den 11. März und der Bundespolizist den 29. Oktober: So gut wie jede Berufs- und Personengruppe hat in Argentinien ihren eigenen Festtag. Gefeiert wird gerne mit Blumen und einem schönen Essen, außer am 2. August – dem Tag des Gastronomen.

Am 6. Juni habe ich von Siemens Argentina eine blaue Picknickdecke geschenkt bekommen - zum Tag des Journalisten. Heute allerdings ist der zweitwichtigste Tag im ganzen Jahr nach Weihnachten: Der "Día del Amigo", der Tag des Freundes. Man wünscht sich Glück, schenkt sich kleine Sachen, und mit American Express gibt es 20 Prozent Rabatt in einer ganzen Reihe von Geschäften (warum? weiß ich auch nicht).

Wir wollen mit Fernanda, Matías und noch ein paar anderen Essen gehen, aber in den Restaurants ist seit Tagen alles ausgebucht für heute abend. Nur bei "Las Cholas", einem Nordargentinier mit viel Maisgerichten und guten Empanadas, nehmen sie keine Reservierungen an, wenn wir also früh genug kommen, also um kurz vor acht statt wie üblich um zehn, hätten wir noch eine Chance, sagte man uns. Wenn mal nur nicht zu viel andere auf die selbe Idee kommen. Sonst feiern wir halt den Tag des Hungrigen.

11.7.06

Kicken

Wer mit Argentiniern Fußballspielen geht, versteht den Hass auf unsere Nationalmannschaft: Alles große Fummler, keiner will laufen, keiner will abspielen, und schon ein fester Schuss gilt als Foul. Mit meinen begrenzten technischen Fähigkeiten stelle ich mich meistens hinten rein, putze aus, was auszuputzen ist. Und wenn dann mal eine Ecke kommt, gehe ich mit vor und köpfe meistens neben das Tor.
Letzte Woche haben wir in Caballitos gespielt, ziemlich räudiger Platz, neben einer kaputten Bahnschranke, die klingelte den ganzen Abend und sechs Polizisten regelten den Verkehr. Gestern war's eine Klasse besser, neben dem Sheraton.
Normalerweise geht es um 23 Uhr los, erst dann haben die Journalisten von "La Nacion" und "Infobae" Redaktionsschluss. Gestern war Anpfiff schon um 22.30 - mädchenhaft früh.

5.7.06

Auf dem Weg nach Stuttgart...

Habe das Spiel gestern im Goethe-Institut angeschaut, mit einem Stuttgarter Geschäftsreisenden, Colin von der Chicago Tribune, Aljoscha aus Berlin (Ost) und diversen Studenten, Praktikanten, etc. Das Bier musste man vom nächsten Kiosk holen, immerhin war das erlaubt.
Ein paar hupende Mofas habe ich gehört, aber einen großen Autokorso haben sie nicht zusammengebracht, die Italiener. Allerdings scheinen die Argentinier einen innerlichen Autokorso zu vollziehen, so sehr freuen sie sich über das Ausscheiden Deutschlands.
Nun ja, für die portugiesischen Jammerlappen kann man ja nicht wirklich sein jetzt. Für Italien ebensowenig. Also bin ich ab jetzt für Zizou. Und dann kommt ja schon bald wieder die EM...
P.S.: Hier die Wahrheit über den Fall Frings

2.7.06

Halb Heim-, halb Auswärtssieg



Deutschland gegen Argentinien, erlebt in der deutschen Botschaft in Buenos Aires(erschienen in der "Allgäuer Zeitung"...)
Christian Thiele, Buenos Aires
Der Zeitungsverkäufer auf der Avenida Cabildo scheint schon zu ahnen, dass sein Land heute einen schlechten Tag hat: „Pass auf, dass sie Dich nicht verprügeln hinterher“, sagt er, 90 Minuten vor dem Spiel, als er meiner schwarz-rot-gelben Backenbemalung gewahr wird. Ich aber muss mir keine Sorgen machen, das Spiel wird an sicherem Ort geguckt. Im Berliner Olympiastadion machen sich die beiden Mannschaften warm.
Rund 12.000 Kilometer Richtung Südwesten sind 200, 250 Menschen in die deutsche Botschaft in Buenos Aires gekommen. Ein schöner Ort, mit Bäumen, Swimmingpool und Tennisplatz, eine Oase. Ein Ort, an dem man normalerweise mit gedämpfter Stimme spricht und die gemeinsamen deutsch-argentinischen Interessen betont. Kein Ort, an dem man „Einer geht noch“ gröhlt oder eine gelbe Karte für Argentinien bejohlt. Aber heute ist vieles anders, heute ist Viertelfinale.
Der Pressechef hat seine Krawatte abgelegt, dem Botschaftshund man das Fell schwarz-rot-gelb und weiß-blau besprüht, der Referent von der Bundesbank hat sich ein DFB-Trikot übergezogen: Deutschland macht sich locker. Es gibt argentinischen Malbec-Wein und deutsches Bier, Bockwürstchen und Teigtaschen. „Liebe Fans“, begrüßt der Botschafter die Gäste, und empfiehlt gegenseitiges Trosttrinken nach dem Abpfiff. „Doit-schland, Doit-schland“: Eine Gruppe von Zivildienstleistenden und Sozialjahrmädchen macht Stimmung, „Arr-chen-ti-na, Arr-chen-ti-na“ halten die heimischen Botschaftsbediensteten entgegen. Großer Jubel, als Blau-Weiß in Führung liegt – hat Deutschland hier nun Heim- oder Auswärtsspiel.
„Wir essen, trinken, kauen Fußball“, sagen Argentinier gerne, Fußball ist hier Religion. Die Leidenschaft für den falschen Verein kann Freundschaften sprengen, Beziehungen ruinieren. In diesen Tagen ist der „Mundial“, die WM, immer und überall im Mittelpunkt. In den Cafés, in der Kinowerbung, in den Schaufenstern. Museen, Behörden, Universitäten, alles schließt bei Argentinienspielen. Die Freundschaften zu Argentiniern wollte ich lieber nicht mit einer gemeinsamen Betrachtung des Spiels belasten. Wir sind stattdessen zum Abendessen verabredet, wollen – je nach Spielausgang – das „Wunder von Bern“ gucken oder einen Dokumentarfilm über Diego Maradona.
Für den Fall eines Argentiniensieges habe ich den Kauf eines weiß-blauen Trikots versprochen. Als es zum Elfmeterschießen kommt, ahne ich, dass das erstmal im Sportgeschäft bleiben kann. „Lehmann, Lehmann, Lehmann“ singen die Zivildienstleistenden beschwörend, es hört sich an wie ein Stammesgesang. Die Argentinier werden still und stiller, und dann ist das Spiel aus.
Vor dem Botschaftszaun sind Polizeiwagen aufgefahren, zum Schutz. Aber die Sonne scheint, es ist ein klarer, kalter Tag im südlichen Winter, und über Argentiniens Hauptstadt legt sich leise Melancholie statt rasendem Zorn. „Ihr habt die Partie gekauft“, grölen ein paar Jungs, aber sie wirken traurig dabei. Schweigen, großes Schweigen, im Café, in der Umkleidekabine meines Sportstudios, auf der Straße. Wie ein Film, bei dem der Ton abgedreht ist, eine Traurigkeit, die ansteckt.
Erst zu Hause fällt mir ein, dass es einen Grund gibt zu feiern: Ein Zettel ist unter der Tür durchgeschoben, von Ismail, dem pakistanischen Wachmann. „Glückwunsch“, steht drauf, „ich freue mich für Euch.“ Eigentlich hat er recht.