30.6.06

Auswärtsspiel

Janina und ich sind rechtzeitig vor dem Deutschland-Argentinien-Spiel zurückgekehrt nach Buenos Aires. Nach der emotionalen und klimatischen Hitze in der Fanmeile Deutschland wirkt Argentiniens Hauptstadt erstmal so spritzig wie ein Kurhotel in Bad Wörishofen.

Janinas Sorgen, uns könnten die Scheiben eingeschlagen werden, habe ich ignoriert und die schwarz-rot-gelbe Fahne vor den Schlafzimmerbalkon gehängt. Doch das Spiel schaue ich lieber an einem sicheren Ort: in der Botschaft. Anschließend sind wir bei unserem amerikanischen Freund Dan, dem einzigen echten Fußballfan aus den USA, mit einem sehr witzigen und intelligenten Fußball-Blog zum Abendessen. Gewinnt Deutschland, wollen wir nach dem Essen gemeinsam "Amando a Maradona" anschauen, den neuen Dokufilm über Diego. Gewinnt Argentinien, wird das "Wunder von Bern" geguckt, mit spanischen Untertiteln. In dem Fall werden ich mir als argentinischer Zweitpatriot ein weiß-blaues Trikot zulegen und an den Obelisk zum Feiern fahren. Schließlich ist der von Siemens gebaut...

Die Argentinier scheinen etwas weniger optimistisch in das Spiel zu gehen als wir Deutschen. Vor allem macht ihnen Sorge, dass der Schiedsrichter bestochen sein könnte. Und sie erinnern daran, dass sich Völler (bei der WM 1990 im Finale) habe fallen lassen und der Elfmeter und damit der Sieg ermogelt worden sei. Auch wird gerne erwähnt, dass Podolski und Klose ja eigentlich Polen seien; Deutschland schummelt also schon mit der Aufstellung. Für eine Einwanderernation wie Argentinien eine interessante Perspektive.

Noch 2 Stunden 30 bis Anpfiff.

23.6.06

So ist es in WM-Deutschland

Schon am Eröffnungsspieltag in München fiel mir dieses Mädchen auf: Dreadlocks, Piercings in Nase, Zunge, Nabel, Wickelrock. Eine typische Kifferbraut, hätte man gesagt, ein typischer Fan von - sagen wir: Elfenbeinküste oder Togo oder irgendetwas anderes Schwachem, Exotischem,
Weitwegem - aber nein, die Dame hatte: schwarz-rot-gelb bemalte Wimpern, chwarz-rot-gelbe Bänder im Haar. Ich laufe mit drei Gummibändchen am Arm durch die Gegend, zwei vom Karstadt in gelb und rot, eins vom "Playboy", in schwarz. Conna aus München hat mit fast vierzig Jahren zum ersten Mal in ihrem Leben eine Deutschlandfahne gekauft. "Schwarz-rot-geil", wie die Bild-Zeitung titelt, hat Alle erfasst.

Dabei ist das dann doch alles sehr multikulti: Am Hauptbahnhof in München klatschte man den Costaricanern Beifall für ihre Fangesänge - vielleicht weil man wusste, dass es eh nichts helfen würde. In Hamburg hatte der Scampibrater bei "Gosch" eine Saudi-Arabien-Fahne auf dem Rücken. Und die drei Krankenschwestern aus Brandenburg auf der Berliner Fanmeile probten am Tag des Deutschland-Ecuador-Spieles schon mal die "Leeds United"-Hymne, um sich abends mit den englischen Fans besser verstehen zu können.

Berlin lässt sich ungern verschlucken: Selbst bei Großevents wie Loveparade oder Marathon ist ein paar Hundert Meter ab vom Spektakel alles wie immer. Diesmal nicht. Am Bahnhof Friedenau zeigt eine kleine Schiefertafel die aktuellen Spielstände an. Von überall her dröhnt "Vierundfünfzigvierundsiebzigneunzigzwotausendsechs" von Sportfreunde Stiller. Selbst im ach-so-geilen Prenzlauer Berg hängen sie Deutschland-Fahnen aus den Häusern. Es gibt kaum ein Restaurant, das sich wm-freie Zeit leisten zu können glaubt.

Der schönste Guckort: Argentinien-Holland auf der Bettlounge im Spindler&Klatt, mit Blick auf die Spree und die Industrieruinen und mit eiskaltem südafrikanischen Chardonnay.

Der populärste Guckort: Deutschland-Ecuador auf der Fanmeile am Brandenburger Tor mit Techno-Skihütte und Meterbratwurst.

Der abgefahrenste Guckort: Deutschland-Polen in der ehemaligen mongolischen DDR-Botschaft mit Soziologie-Studenten, Kleinsbildschirm unterm Apfelbaum und Tofu-Bratlingen auf dem Grill.

Der temporärste Guckort: Italien-Tschechien in der Adidas-Arena, dem als Zelt nachgebauten Olympiastadion auf der Reichstagswiese - da, wo immer Kicken verboten war.

Der komfortabelste Guckort: Argentinien-Serbien in Marios Wohnzimmer mit Fernsehteller und ans TV-Bild angepasster Hintergrundbeleuchtung.

Der blödste Guckort: 2. Halbzeit Deutschland-Schweden, morgen am Check-In-Schalter von Lufthansa am Flughafen Berlin-Tegel. Voraussichtlich mit Übergepäck.

Es geht - heim?

Nach einem Monat Europa - Stationen Berlin, Bilbao, München, Garmisch, Füssen, München, Berlin, Hamburg, Berlin, Lichterfelde - geht es morgen wieder zurück nach Buenos Aires.

Janina muss eine Depesche mitnehmen, wofür sie a) einen Taxigutschein und b) einen Kurierpass bekommt. a) dient dazu, dass sie keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen muss, b) dazu, dass ihr Gepäck nicht durchleuchtet werden darf. Falls das doch so ist, muss sie ihre Reise unverzüglich abbrechen. Übergeben darf sie die Depesche in BsAs nur an den Botschafter oder den Kanzler, den Verwaltungschef der Botschaft.

Was wohl drin sein mag? Aufmarschpläne? Der Plot für einen Umsturz, angeführt vom Botschafter? Ein Lottoschein? Oder eine ungeklärte Spesenabrechnung über eine Taxifahrt vom Auswärtigen Amt zur ungarischen Botschaft?

Ich werd's wohl nie erfahren. Außer, ich betäube Janina, entreisse ihr die Depesche und öffne sie in der Bordküche über Wasserdampf. Dürfte doch keiner merken, oder?