29.12.05

Schlaf verzweifelt gesucht

Pillen? Das ist uns noch zu radikal. Vorschlafen, so am frühen Abend? Haben wir schon diskutiert. Bis lang läuft es auf die Ränder-unter-den-Augen-Lösung heraus. Kurzum: Wir suchen nach Schlaf.
Denn für Janina klingelt unerbittlich jeden Morgen um kurz nach sieben der Wecker. Aber das Leben in Buenos Aires ist mit dem deutschen Beamtenarbeitstag schlecht vereinbar.
Zum Beispiel gestern: Jana feiert Geburtstag. Ab elf. Wir stehen pünktlich in der Tür. Als wir gegen eins gähnend wieder abziehen, kommt der größte Schwung Gäste erst an.
Wenn wir abends unseren Hunger so bis um neun, halb zehn betäuben können und dann ins Restaurant gehen, sind wir meist immer noch die Ersten. Hat dann sowas Edward-Hopper-mäßig Einsames: wir, der Kellner und die Bar.
Kein Wunder, dass angeblich sieben von zehn Portenos unter Schlafmangel leiden. Vielleicht probieren wir's ja demnächst doch mit Pillen.

19.12.05

Argentinien gegen Mexiko in Patagonien

Janinas Studienfreundin Mariella hat - irgendwie schon auch zum Leidwesen der Familie - einen Mexikaner geheiratet - deshalb waren wir am Wochenende in Trelew in Nordpatagonien. Die Hochzeit begann um neun Uhr abends, als wir um sechs Uhr früh gingen, tobten Braut, Bräutigam und Bräutigamsvater noch mit Schaumgummi-Sombreros über die Tanzfläche. Das Feiern müssen wir den Latinos also nicht beibringen. Die angereisten Mexikaner klagten über die hochmütigen Menschen, das fade Essen und die schlechte Schulausbildung in Argentinien. "Und Ihr, in Deutschland, sprecht doch auch französisch, oder?", fragte uns eine Ärztin aus Mexiko-City.

See-Elefanten, Halbinsel Valdez

Vorher waren wir noch ein paar Tage auf der Halbinsel Valdez. Haben auf einer Estancia gewohnt und sind mit dem Mietwagen über die Schotterpisten gebrettert, um uns umzusehen. Ein Tierparadies, "als hätte man die halbe Arche Noah auf diese Halbinsel gepfercht", hat irgendwer irgendwo mal geschrieben. Die Wale, die es hier sonst bis Mitte Dezember zu sehen gibt, haben wir um ein paar Tage verpasst. Auch um zu sehen, wie Orkas kleine See-Elefantenbabys vom Strand rauben, müssen wir nochmal kommen. Immerhin haben wir Pinguine gesehen und See-Elefanten und See-Löwen und Maras und Guanacos und und und. Man muss kein großer Tierfan sein, um das beieindruckend zu finden.
Außerdem haben wir in Gaiman, einem walisischen Dorf, Tee aus Kännchen mit Häkelwärmer getrunken und uns Harfenmusik angehört. Walisische Kohlekumpels sind nämlich Mitte des 19. Jahrhunderts hier gelandet - nach der Suche nach einem Ort, der so ähnlich ist wie England, nur ohne Engländer. Man hat sich von den Indianern ein paar Anbautricks abgeguckt, und nach drei verbeutelten Ernten mit entsprechenden Hungersnöten war man über den Berg. Heute werden Walisisch-Lehrer von der Insel hierhergeschickt, um die Kinder die Sprache zu lehren. Es gibt einen jährlichen Bardenwettbewerb. Und auf ihrer letzten großen Auslandsreise hat sogar Lady Diana, die Prinzessin von Wales, eines der Tee-Häuser besucht. Dummerweise ausgerechnet jenes, das nicht Walisischstämmigen, sondern argentinischen Nachahmern gehört. Hier geht es zu den Photos.

12.12.05

Ferien in Mendoza


Zehn Tage Ferien in Mendoza, in den Anden, kurz vor Chile: Wein probieren, auf Estancias abhängen, den Aconcagua (höchster Berg Amerikas) angucken. Demnächst eine Reisegeschichte im "Merkur" - hier schon mal der Link zu den Photos.

10.12.05

Neue Zeilen, neues Honorar

...diesmal in der Welt

9.12.05

Der Präsident macht die Unterhosen billiger

Das Problem heißt Inflation: Die Preise sind seit Anfang 2002 um ca. 70 Prozent, allein seit Anfang 2005 um ca. 11 Prozent gestiegen. Das trifft vor allem Rentner, Arbeitslose und alle sonstigen Armen. Mein Mann am Zeitungskiosk muss jedes Mal auf die Titelseite gucken, wie viel die Blätter denn gerade kosten.
Die Lösung heißt Nestor Kirchner: Der Staatspräsident hat sich mit den wichtigsten Supermarktbossen getroffen, um für zwei Monate Rabatte auszuhandeln. Gestern dann eine ganzseitige Anzeige in der "Nacion", der argentinischen FAZ, mit Strichelrand zum Ausschneiden.
200 Artikel sind aufgelistet, für die jetzt die Preise um 15 Prozent gesenkt werden. Von Männerslips bis Melitta-Filter Nr 4, von 1,5-Liter-Fanta-Flaschen bis Maggi-Kartoffelpüree (125g-Packung), .
Unterschrieben ist das ganze mit "Präsident der Nation" und "Argentinien - ein Land meint es ernst".

5.12.05

Die ersten Zeilen, das erste Honorar

... aus Argentinien, auf fluter

Gute Ernte
Die Tee-Kooperative Ruiz de Montoya
Christian Thiele
www.fluter.de


Vor vier Jahren hat es in Argentinien eine schwere Wirtschaftskrise gegeben. Viele Menschen haben ihren Job verloren, das Leben auf dem Land ist hart. Die Jobs auf der Tee-Kooperative Ruiz de Montoya im Nordosten des Landes sind sicher - und beliebt. Denn Alfredo Kallus, Präsident der Kooperative, zahlt faire Preise. Wir haben mit dem Manager über gute Tees und respektvollen Umgang gesprochen.

Herr Kallus, was wird bei Ihnen genau angebaut?

Wir bauen vor allem Yerba an, daraus wird Matetee gemacht. Einen Teil verkaufen wir weiter an Mühlen, in 40-Kilo-Säcken, einen Teil bieten wir unter unserer eigenen Marke an. Außerdem produzieren wir schwarzen, grünen und Roibusch-Tee - alles organisch.


Was heißt das, was machen Sie anders als "normale" Teeproduzenten?

Wir produzieren ohne chemische Produkte. Das wird überprüft, alle drei Monate kommt jemand zur Kontrolle vorbei. Unsere Produkte kosten dadurch 30 Prozent mehr, weil unsere Plantagen ohne die chemische Behandlung viel weniger pro Hektar abwerfen als normale Plantagen.

Wo kann man Ihre Produkte kaufen?

Eine Stiftung in der Schweiz nimmt unsere Tees ab, außerdem haben wir jetzt einen neuen Importeur aus Italien, der unsere Produkte demnächst in ganz Europa vermarkten will. Bis jetzt aber bleibt das meiste im Inland, in Argentinien.

Wie viel teurer ist Ihr Tee als normal gehandelter Tee?

Das weiß ich eigentlich gar nicht, ich weiß nur, was wir verlangen, wenn wir es in Buenos Aires aufs Schiff geben. 1,35 US-Dollar ist unser Verkaufspreis für ein Kilo Schwarztee, normal produzierter und gehandelter Tee kostet 85 Cent.

Wie viel bekommt ein Arbeiter und Arbeiterinnen bei Ihnen, wie viel auf anderen Plantagen?

Wir zahlen denen, die in der Teetrocknung, in der Mühle oder in der Verpackung arbeiten, 4,50 Peso pro Stunde (etwa 1,28 Euro), alle anderen bekommen 3,18.

3,18 Peso? Das ist aber nicht viel! Welchen Vorteil hat denn ein Bauer oder eine Bäuerin, wenn er sich Ihrer Kooperative anschließt?

Das ist der von der Gewerkschaft festgelegte Lohn, bei anderen Kooperativen bekommen die Arbeiter noch viel weniger. Außerdem haben sie bei uns garantierte Abnahmemengen. Wenn wir Gewinn machen, wird der unter den Genossenschaftlern verteilt.
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Wie bezahlen denn andere Abnehmer und Abnehmerinnen?

Den Bauern zahlen wir für das Kilo Schwarztee 20 Centavos, die großen Abnehmer zahlen nur 15 Centavos - das ist ein Viertel weniger.

Ihre Ernte dieses Jahr war sehr gut. Woran liegt das, war das Wetter so gut?

Nein, die Cooperativa selbst hat sich verbessert. Wir zahlen den Bauern jetzt mehr und schneller, früher mussten die zum Teil Monate auf ihr Geld warten, weil wir so lang auf unser Geld warten mussten. Aber auch das Betriebsklima ist gut, denn das Menschliche muss stimmen. Der Bauer will, dass man ihn gut behandelt, dass man ihn respektiert, dass man auf ihn hört, wenn er was zu sagen hat - und das macht uns jedes Jahr stärker.

Wie viele Mitglieder hat die Genossenschaft, wie wird man Mitglied?

Wir haben 290 Mitglieder, aber wir verarbeiten auch Produkte von Nichtmitgliedern - insgesamt von rund 500 Bauern. Wer bei uns Mitglied werden will, muss fünf Jahre lang zehn Prozent seiner Ernteerträge einbringen.

Ist der Teeanbau eine harte Arbeit?

Für einen Bauern ist eine Arbeit eine Arbeit. Es macht einen aber nicht kaputt, man kann hier mit 17 Jahren arbeiten und mit 70. Schwierig war, dass in den letzten Jahren die Preise so niedrig waren. Aber den Arbeitern hier geht es immer besser, sie bekommen immer mehr Rechte. Sie bekommen Wäsche von uns, sie können zum Arzt gehen, bekommen an den Feiertagen frei, haben Urlaub.


Seit wann gibt es denn die Cooperativa?

Die Cooperativa wurde vor 52 Jahren gegründet, von Schweizern und Deutschen - denn wir befinden uns hier in einer Schweizer Kolonie. 20 Jahre lang war ein gewisser Lorenzo Zimmermann, ein Schweizer, der Vorsitzende. Es gibt hier ein Colegio, eine Schule, mit über 400 Schülern - und die hat einen hervorragenden Ruf, sie ist die beste in der ganzen Provinz und in ganz Nordargentinien hochangesehen.

Wie sieht es denn überhaupt so aus bei Ihnen?

Also, wir sind in Misiones, im Nordosten Argentiniens. Wir haben Berge, aber nicht riesig hoch. Kann man alles bepflanzen. Die Erde hier ist überall tiefrot, wir haben viele Flüsse, und gutes Wasser, viele Süßwasserquellen, kann man gut trinken - das ist ein großer Vorteil. Viel Wald, es gibt hier eine spezielle Pinienart, die ist so was wie das Markenzeichen von Misiones, die sieht man überall. Und eben Yerba Mate und Schwarztee.

Vor vier Jahren gab es in Argentinien eine dramatische Wirtschaftskrise - spürt man da noch die Nachwirkungen?

Bis vor kurzem hatte die Regierung nichts übrig für die Landbevölkerung, seit der letzten Krise hat sich das etwas gebessert. Der Staat hilft uns jetzt ein wenig, es gibt Kredite, Geld für Schulen, Computer. Jetzt gibt es auch ein bisschen bessere Preise. So geht es uns eben heute auch viel besser als noch vor drei, vier Jahren. Die Cooperativa kann sich hin und wieder ein neues Auto leisten, die Traktoren werden wieder repariert, es gibt jetzt sogar ein paar Kühlschränke hier. Man merkt das auch im Dorf, die Leute sind fröhlicher, haben wieder Mut, die Arbeiter verdienen besser.

Was sind die Zukunftspläne?

Wir wollen wachsen. 1999 haben wir 9 Millionen Yerba verarbeitet, heute fast 12,6 Millionen, das ist ein ganz schön großer Schritt nach vorne. Wir haben uns jetzt auch eine Trockenmaschine von einer anderen Kooperative ausgeliehen, denn ich sage immer, dass wir mehr Kilos machen, stärker werden müssen. Denn ob wir 9 Millionen oder 15 Millionen Kilos machen, die Kosten sind dieselben - aber die Erträge ändern sich, und dann können wir die Bauern und die Bäuerinnen auch besser bezahlen. Und für das Dorf ist es auch gut, wenn wir mehr Familien anstellen können.

Christian Thiele, 32, ist freier Journalist und lebt seit kurzem in Buenos Aires.

Fotos: © Archiv Förderverein

www.tango-tee.ch
Mehr über die Cooperativa und ihre Produkte
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