28.10.05

Das (schlecht organisierte) Verbrechen und ich - erste (harmlose) Begegnung

Abends, so um 8 Uhr, gerade dunkel geworden. Ich komme vom DVD-Ausleih und laufe unsere Straße lang, die Gorostiaga. Am Zaun der deutschen Botschaft ist es ein bisschen dunkel - es riecht nach Klebstoff. Ich sehe einen Typen. Der läuft neben mir her. Ich werde schneller, er läuft immer noch neben mir her. Links läuft jetzt plötzlich auch einer neben mir her.
Kleinhirn an Großhirn: Die wollen Dich ausrauben! Großhirn an Kleinhirn: Brüll sie in die Flucht!
Ich weiß nicht, was mich reitet, aber ich stelle mich mitten auf die Straße und fange an, wie am Spieß zu brüllen, wie ein wütender Wolf oder ein angeschossener Bär. Die beiden weichen zurück, hauen ab.
Am Ende weiß ich gar nicht, wer mehr Angst hatte: Ich oder die Pattexschnüffler...

23.10.05

Weiter ohne Jacke

30 Grad hatte es letzte Woche, in der Mittagshitze laufen gehen empfahl sich schon nicht mehr. Aber nur kein Neid, es ist wieder kühler geworden, nur noch sonnige 25 Grad...
Gestern Buffetdinner beim Verwaltungschef der Botschaft. 19. Stock, grandiose Aussicht auf den Rio de la Plata und auf den Swimmingpool des amerikanischen Botschafters. Das Essen war zwar lecker, kam aber spät, so dass sich alles auf einmal aufs Büffet stürzte - und dann auf die Stühle. Also aßen wir auf dem Bett, das sich der Verwaltungschef mit seinem spanischen Freund teilt. Dahinter eine "römische Dusche mit Platz für sechs Leute" - wir haben´s einfach mal geglaubt und nicht ausprobiert.
Dann ging es zu "Stereo Total", Francoise Kaktus rockte auf Einladung des Goethe-Instituts das Haus. Bis 12 Uhr, denn seit null Uhr bis 21 Uhr heute gilt Alkohol- und Spektakelsperre wegen der Parlamentswahl. Hier herrscht Wahlpflicht, und damit einher geht Saufverbot. Im Supermarkt haben sie die Bierregale abgehängt, vor der Weinecke rotweißes Absperrband und ein Sicherheitsmensch. "Wir sind Ausländer, wir dürfen eh nicht wählen", habe ich argumentiert - nix genützt...

12.10.05

In Buenos Aires

Dass ich auf dem Tennisplatz der Deutschen Botschaft in Buenos Aires an meiner Vorhand arbeite, sollte unter uns bleiben. Denn der Bundesrechnungshof weiß dort nur von einem "Hubschrauberlandeplatz"...
Ich bin angekommen in Buenos Aires und bei Janina. Es wird hier Frühling, das heißt, dass ich nur morgens auf der Dachterasse sitzen kann, später wird es zu heiß. Gegenüber von unserem Häuschen sitzt, in einem etwas kleineren Häuschen, der Wachmann der pakistanischen Botschaft, die Straße weiter runter residieren die Kroaten. Nicht unbedingt ein Problemviertel, sozusagen.
Muss jetzt los zum Spanischunterricht. Hatte schon zwei Tage Unterricht, kann´s aber immer noch nicht. Das gibt mir zu denken.

11.10.05

Nachtrag aus Chicago

US-IMMOBILIENMARKT / Nie wurden in Amerika so viele Wohnungen gebaut wie derzeit. Der Wahn bedroht die Weltwirtschaft

Im Königreich der Condos


Die Babyboomer zogen einst in die Vorstädte. Jetzt wollen die Menschen wieder im Zentrum leben. Doch dieser Traum lässt sich nur auf Pump erfüllen.

CHRISTIAN THIELE, CHICAGO


Es hat etwas von Legoland, wenn Ronald Shipka sein Modell präsentiert: Das hier, sagt er, war der erste Turm – 210 Wohnungen. Da, und sein Finger wandert nach rechts, steht Turm Nummer zwei. Ein Schritt zurück: „Dann wurden wir ein bisschen mutiger, das Design wurde etwas sexier.“ – Turm drei, 275 Wohnungen. „Und hier“, sagt Shipka, räuspert sich, streicht über das schlohweiße Haar, zupft an der Ärmelmanschette, sodass das Monogramm unter dem Sakko verschwindet, und lächelt ein versonnenes Lächeln, „hier, wo früher noch Bahngleise waren, hat mich mein Vater in den Zug zum College gesetzt!“

Bahngleise, die Illinois Central Station – das ist die Vergangenheit. Wie Gegenwart und Zukunft aussehen, zeigt Shipkas Modell: Ein Haufen von Türmen mit Eigentumswohnungen – Condos genannt. Es sind Shipkas Türme und Shipkas Condos. Der 66-Jährige ist einer der erfolgreichsten Immobilienunternehmer Chicagos.


Chicago ist kein schlechter Ort, um Amerikas Bauboom zu verstehen – den wohl gewaltigsten in der Wirtschaftsgeschichte: In der drittgrößten Stadt der USA steigen die Hauspreise seit den Neunzigern um rund sechs Prozent jährlich, die Zahl der Wohnungen in der Innenstadt hat sich in den letzten 15 Jahren verdoppelt, ein Apartment kostet heute im Schnitt zweimal so viel wie Ende der neunziger Jahre.


Shipkas eigener Lebenslauf erzählt die Geschichte dieses Immobilienbooms: Der Vater arbeitet als Ingenieur in einer Renovierungsfirma. „Bäder sanieren, Dächer reparieren, alles Mögliche“, sagt Shipka. Während seines eigenen Ingenieurstudiums hilft der Sohn dem Vater auf dem Bau. Das ist in den Siebzigern, als das Benzin noch billig ist, die Babyboomer die Städte in die Vororte auswalzen, um fern von Lärm und Kriminalität die eigenen Kinder großzuziehen. Downtown leben die Schwarzen, downtown geht man arbeiten – zu Hause ist Amerika in den Vorstadtbungalows.


In Chicago ändert sich das ab Mitte der achtziger Jahre. Mit Bürgermeister Richard Daley zieht einer ins Rathaus ein, der Downtown zu einem Lebensraum machen will. Mit Kultur, Kommerz – und Condos. „Erst hat man kleine Industriegebäude in Lofts umgewandelt. Dann kamen ein paar kleinere Neubauten. Und heute baut man an jeder Ecke 80-Etagen-Gebäude“, sagt Gail Lissner von der Immobilienfirma Appraisal Research Counselors. Selbst auf der Michigan Avenue, der zentralen Shopping-Meile, werden heute komplette Büroetagen in Eigentumswohnungen umgewandelt. „Die Leute wollen da sein, wo was los ist, wo man einkaufen kann, nicht unbedingt in den ruhigen Wohnlagen“, sagt Lissner.


Zu Shipkas Vater ist man noch gekommen, wenn man ein neues Bad brauchte – zu Shipka kommt man, wenn man ein paar neue Häuser braucht, oder eigentlich: einen neuen Stadtteil. „Museum Park“ heißt das Viertel, das Shipka in den letzten Jahren aus dem Boden hat stampfen lassen. Ein Areal so groß wie drei Dutzend Fußballfelder, früher waren hier Bahngleise und Prärie, künftig sollen hier 12000 Menschen leben. Einige Blocks weiter im Norden, im Loop, schlägt das wirtschaftliche Herz Chicagos, ein paar hundert Meter westlich liegt der Lake Michigan.


Gerade erst ist Shipkas neuer Condo-Turm fertig geworden, 260 Wohnungen – nach dem ersten Verkaufswochenende waren drei Viertel vergeben. Am Nordwestende von Museum Park lässt Shipka eine Glasspirale mit Luxuscondos in die Höhe wachsen, eine Wohnung kostet zwischen 750000 und 2,5 Millionen Dollar. Keine Frage, Shipka ist einer der großen Spieler im Häuserroulette. „Ja, ich gehöre schon zu den dicken Fischen hier“, sagt er lächelnd. „Vermögen ist für mich so was wie der persönliche Tabellenstand.“ Am Arm trägt er eine Rolex, am Ärmel goldgefasste Manschettensteine, an seinem silbernen Bentley hängt das Kennzeichen „RS“.


Shipka führt den Besucher um den Block. Es hat geregnet, die Straßen sind ein bisschen matschig vom Baudreck. Er wirft einen besorgten Blick auf seinen dunkelblauen Nadelstreifenanzug, auch die schwarzen Slipper sind nicht wirklich gemacht für die Baustelle. „Hey Tom, wie geht's?“, ruft er einem Mann im gelben Bauhelm zu – ein röhrender Betonmischer verschluckt die Antwort. Weiter drüben stehen ein paar Arbeiter vor einer Grube und beraten. Eine Glasfaserleitung muss verlegt werden, aber seit zwei Monaten findet sie keiner – so lange muss der nächste Condo-Komplex warten. „Dabei ist schon alles geplant, wir könnten sofort loslegen. Nächstes Jahr könnte das Ding stehen“, sagt Shipka.


Wo sie nächstes Jahr wohnt, weiß Faviola Esquivel nicht. Nur eines weiß sie: Shipkas 750000-Dollar-Condos sind ungefähr in gleicher Reichweite wie der Mond. Für sie ist zu Hause ein Metallkasten auf Rädern. Mit ihrem Bruder Jonathan und ihrer Mutter Maria lebt die 19-Jährige in einer Wohnwagensiedlung in Harvard, einem nordwestlichen Vorort von Chicago im Bundesstaat Illinois. Und nicht mal dort kann sie bleiben.


Erst kommt der Reifenhändler, dann McDonald's, dann geht es links ab in die Wagensiedlung, den Trailerpark. „Erste Reihe, drittletzter Container rechts, Wagen 113“, sagen die drei Jungs auf ihren abgerockten Fahrrädern – Faviola kennt hier jeder, denn sie kann Englisch.


Plonk, plonk, plonk, der Regen trommelt auf das Metalldach. Faviola kommt von einer Beerdigung, streift sich mit einer Kleiderbürste die Fusseln von der schwarzen Hose und zeigt ihr Zuhause. Drei Schritte nach links: das Bad. Zehn Schritte nach rechts: das Schlafzimmer. „Wir haben hier einen der größeren Wagen, die meisten sind noch kleiner“, sagt sie.


75 Familien wohnen in den Containern, fast nur Latinos. „Alle haben wenig Einkommen, es reicht gerade zum Leben.“ Sie selbst arbeitet in einem Fast-Food-Restaurant, für rund 1000 Dollar. Maria, ihre Mutter, kam vor neun Jahren aus Toluca in Zentralmexiko. Sie fand, dass das Leben hier besser ist, und holte die Kinder nach. Das Geld für den Wohnwagen, 20000 Dollar, liehen sie sich zusammen, jetzt müssen sie den Kredit abstottern plus 215 Dollar monatlich für die Grundmiete.


Aber am 6.Oktober 2006 müssen sie weg, denn dann wird der Wagenpark aufgelöst. Ein Investor hat das Grundstück gekauft, statt der Container sollen dann auf dem Gelände Geschäfte stehen. „Das ist alles, was wir haben – wo sollen wir jetzt hin?“, fragt Faviola. Auch in Harvard, Illinois, boomt der Immobilienmarkt – nur gehören Faviola und die anderen Wohnwagensiedler nicht zu den Gewinnern.


Chicagos muskulöse Wolkenkratzer, Shipkas Condo-Türme sind von Harvard aus nur bei klarer Sicht auszumachen. Hier fasert die Metropole in das Prärieland aus, die Farmer bauen Brokkoli und Mais an, halten Kühe. „Deshalb ist für uns Mexikaner Harvard kein schlechter Ort“, erklärt Janie Galarza: „Es gibt Saisonjobs, es sieht so ähnlich aus wie in Mexiko – und es gibt den Wohnwagenpark.“ Galarza, die gegenüber der Stadtverwaltung die Interessen der Latinos vertritt, hat selbst im Wohnwagen angefangen, als sie 1988 hierher kam. Es kam ein Baby, es kam ein besserer Job, und die Familie konnte einen Kredit aufnehmen und in ordentliche vier Wände ziehen. Heute, sagt Galarza, wird das immer schwieriger. „Im Trailerpark“, sagt sie, „haben sie wenigstens etwas Eigenes – noch.“


In Harvard ist die Wohnwagensiedlung Behausung für die Armen. Im kalifornischen Malibu hingegen muss man für „mobile Villas“ mit Jacuzzi und Pazifikblick rund eine Million Dollar hinlegen. Dazu kommen Standplatzmieten von bis zu 2500 Dollar monatlich. Auch in Florida hat der Immobilienmarkt so angezogen, dass für einen Platz im Trailerpark sechs- bis siebenstellige Beträge fällig werden. Makler rammen in dieser Gegend schon keine „Verkauft“-Schilder mehr in den Boden – stattdessen sieht man immer öfter ein schadenfrohes „Zu spät!“ in den Vorgärten.


Die Orkanschäden der letzten Wochen dürften die amerikanische Bauwirtschaft eher noch anheizen denn abschwächen: Die Nachfrage nach Mensch und Material treibt die Preise in die Höhe. Immobilienmakler in der Golfregion reiben sich über Wertsteigerungen von bis zu 50 Prozent die Hände. „Die Leute hier betteln um Wohnraum“, sagt Burton Clark von der Immobilienfirma Cummings & Associates in Mobile, Alabama. „Vor ein paar Wochen hatten sie noch Auswahl – jetzt müssen sie nehmen, was sie kriegen.“ Die langfristigen Auswirkungen auf den Rest des Landes werden aber erst in den nächsten Wochen spürbar, prophezeien Bauunternehmer: wenn nämlich Tausende von Evakuierten in ihre Häuser an der Golfküste zurückgekehrt sind und feststellen, dass dort nicht mehr viel zu reparieren ist.


Verglichen mit dem Goldrauschfieber an den Immobilienmärkten in Florida, Kalifornien und New York dämmert Chicago und der Mittlere Westen mit einstelligen Wachstumsraten fast in der Depression. Condo-König Shipka hat deshalb schon seine Fühler gen Westen ausgestreckt: 500 Wohnungen lässt er gerade in Palm Springs bauen, die Söhne versuchen gerade, etwas in Los Angeles zu entwickeln.


Eine Blase in der Immobilienwirtschaft, die möglicherweise auch noch platzen könnte? Ron Shipka mag an so etwas nicht glauben. Für ihn kennt der Häusermarkt nur eine Richtung: nach Norden, nach oben.


Neulich saß er mit seiner Frau im Auto, auf dem Weg in einen der westlichen Vororte. Lächerliche 40 Meilen, doch nach anderthalb Stunden stand er immer noch im Stau – er habe fast ins Lenkrad gebissen. Seine Frau hingegen sei kühl geblieben. „Freu dich doch, Schatz“, habe sie gesagt und ihm die Hand auf den Arm gelegt. „Alle, die hier im Stau stehen, machen das nicht mehr lange mit. Irgendwann haben sie genug, verkaufen das zweite Auto und ziehen nach Downtown. In eins deiner Condos!“

© Rheinischer Merkur Nr. 40, 06.10.2005